"E1NEN HAB ICH NOCH..." ist ein virtuelles Sammelsurium für Musik. Der gleichnamige Blog bündelt und filtert Neuigkeiten aus den unendlichen Weiten der verschiedensten Genres. Dabei gilt stets die Devise: Den Song oder diese Platte sollte man noch gehört haben!
Wo es doch aktuell so aussieht, als würde die Dreampop-Prinzessin Grimes heftigst an ihrem eigenen Thron sägen, indem sie ihr Gefolge zunehmend mit der Veröffentlichung flacher, Mainstream tauglicher Tracks vergrault, braucht es eventuell ein neues Gesicht an der Spitze des elektrifizierten Klangreiches. Und so tritt eine junge Britin, mit spanisch-jamaikanischen Wurzeln, gerade rechtzeitig auf den Plan. FKA twigs (formally known as twigs) erweckt den Anschein, ein humanoides Astralwesen zu sein, das mit der letzten Sternschnuppe auf die Erde gestürzt ist und seitdem durch seine Andersartigkeit von sich reden macht. Glaubt man allerdings Pressetexten und Interviews, wuchs FKA twigs als Tahlilah Barnett im verschlafenen Gloucestershire, einer ländlichen Region im Westen Englands, auf. Schüchtern soll sie gewesen sein. Heute hingegen wirkt sie als multimediales Kunstobjekt recht extrovertiert, hat sich in gut verknüpftes Netzwerk integriert und sich mithilfe ihrer ersten beiden EPs "EP1" (2012) und "EP2" (2013) einen festen Stand im aktuellen Musikgeschehen verschaffen können. Genau der richtige Moment, um ein Debüt nachzuschieben. Dieses trägt - wie sollte es auch anders sein - den Titel "LP1".
Wie klingt die Moderne? FKA twigs beantwortet diese Frage auf "LP1" mit einem bunten Potpourri aus Electro, Dreampop, R'n'B und Trip-Hop. Die Akzente, die die 26-Jährige dabei auf ihrer ersten LP setzt, wechseln von Song zu Song und verleihen dem Album insgesamt einen frischen, unverbrauchten Charme. Während der Opener "Preface" oder das atemberaubende "Closer" noch futuristischen Sirenengesängen à la Julia Holter frönen, enthüllen "Lights On" oder "Two Weeks" eine pulsierende Laszivität, die klar in Richtung Soul deutet. Dubstep und Downtempo infiltrieren derweil Nummern wie "Pendulum" oder "Kicks", wohingegen "Numbers" die Weitläufigkeit experimenteller Sounds erkundet. Auch FKA twigs Stimme durchläuft innerhalb der zehn Stücke der Platte manch interessante Metamorphose. Durch punktuell eingesetzte Verzerrungen und eine generell recht breite Range bedient die Sängerin eine tiefe Vollmundigkeit ebenso gekonnt, wie die sphärischen Höhen, die bei "Hours" zu vernehmen sind. Vielleicht reicht "LP1" noch nicht an die Genialität eines "Visions" von der bereits erwähnter Kanadierin Grimes heran, doch hat FKA twigs mit diesem Album den Sicherheitsgurt angelegt, um bei der nächstmöglichen Gelegenheit auf die Überholspur zu wechseln.
Malky - Was im ersten Moment nach der Verschmelzung zweier Schokoriegel klingt ist das musikalische Projekt von Daniel Stoyanov und Michael Vajna. Die beiden Männer lernten sich vor Jahren in der Quadratestadt Mannheim kennen. Kurze Zeit später infiltrierten sie bereits gemeinsam die deutsche Popbranche, schrieben Songs für verschiedene Mainstream-Größen und zogen hinter den Kulissen der bunten Flimmerwelt gehörig an den richtigen Fäden. Daniel verfolgte darüber hinaus eine Karriere als Schnulzensänger und kämpfte sich mit kitschigen Balladen bis an die Seite von Xavier Naidoo. Wie kommt es nun aber, dass genau diese Herren aktuell in den Fokus unserer Berichterstattung geraten sind? Distanzieren wir uns sonst doch nur allzu gern von der Künstlichkeit der klebrigen Chartindustrie. Nun, Daniel und Michael haben an der richtigen Stelle Mut bewiesen und den Sprung ins kalte Wasser gewagt. Nachdem ihnen der kommerzielle Erfolg nicht das geben konnte, wonach sie gesucht hatten, ließen sie endlich ihr akustisches Herz sprechen, siedelten in die sächsische Metropole Leipzig über, stampften mit Eigthy Days Records ihr eigenes Label aus dem Boden und verabschiedeten sich von der maschinellen Hittauglichkeit ihrer früheren Arbeiten. Stattdessen widmeten sie sich mit Eifer dem auditiven Erbe von Motown, Soul und Funk.
"Soon"
"Soon", das Eröffnungsstück des gleichnamigen Debüts von Malky macht schon während seiner ersten Takte deutlich, dass Daniel und Michael zu völlig neuen Klangufern übergesetzt haben. Als hätten sich Aloe Blacc und Moby für die Produktion eines gemeinsamen Tracks zusammengesetzt, überzeugt "Soon" durch geschmackvolle Akzentuierungen und eine authentische Prise Gefühl. Rau und aufrichtig. Gegen Ende mischt sich zudem eine leicht orientalische Note in das Geschehen. Vielleicht ein Hinweis auf den multikulturellen Background des Duos - Daniel ist gebürtiger Bulgare und durch Michaels Adern fließt ungarisches Blut. Der Folgetrack "Showdown" dreht dann gehörig an den Reglern und fegt mit roher Gewalt über ein Geflecht aus R'n'B und Acid Jazz. Im weiteren Verlauf der Platte beweisen Malky, dass man Seelen auch streicheln kann, ohne allzu dick auftragen zu müssen ("Diamonds", "Human Love", "The Upper Room"), dass infantile Choreinlagen nie an Aktualität verlieren ("History Of Broken Heart") und dass ein verruchter Anstrich noch keinem Song geschadet hat ("Trouble", "Who's Order"). Da wiegt es dann auch nicht mehr ganz so schwer, dass die zweite Hälfte des Albums keine wirklichen Überraschungen parat hält. Ein wenig belanglos, und in ihrer Ausführung vergleichsweise schwach, plätschern "Give Away", "Babylon Tree", "Human Love" oder das recht pathetische "Beautiful Vacation" vor sich hin. Vielleicht wäre eine etwas kürzere EP hier ein guter Kompromiss gewesen.
Irgendwie war Kelis schon immer anders als die anderen R'n'B-Künstlerinnen. Sie wollte von jeher nicht in das Bild der Goldketten tragenden, farbigen Powerlady passen, das von Damen wie Rihanna, Ciara, Brandy oder Amerie gern ausgiebig zelebriert wird. Zu bodenständig und irgendwie auch zu kantig wirkte die 1979 in Harlem geborene Sängerin stets. Als Protestlerin machte sie 1999 ihrem Ärger Luft und schrie sich mit "Caught Out There", von ihrem Debüt "Kaleidoscope", die Seele aus dem Hals. In den darauffolgenden Jahren arbeitet Miss Rogers, wie Kelis mit bürgerlichem Namen heißt, mit sämtlichen Größen der Branche zusammen. Darunter The Neptunes, André 3000, ihr Exmann Nas, Cee-Lo Green, will.i.am oder David Guetta. Jeder will die Frau kennenlernen, die es schafft, die Arme soweit auszustrecken, dass sie sich genüsslich innerhalb der kompletten musikalischen Vielfalt bedienen kann, ohne dabei jedoch ihren ganz eigenen Stil zu verlieren. So tanzt sie durch Electro, Hip-Hop, Pop, Jazz oder Reggae und wirkt in jeder einzelnen Bewegung authentisch. Nun wagt sich Kelis erstmals gen Indierock, zusammen mit TV on the Radios Dave Sitek. "Food" lautet der Name des sechsten Studioalbums der Queen of Soul.
"Food"
Reichlich ist der Tisch gedeckt, und zwar an jedem einzelnen Produktionstag von "Food". Dave Sitek wohnt in Los Angelos nur ein paar Gehminuten von Kelis entfernt und was ist schöner, als sich neben dem Songwriting auch um das gemeinsame Leibeswohl zu kümmern? Während allerhand Gerichte und Songs, die wie welche klingen ("Friday Fish Fry", "Jerk Ribs", "Breakfast", "Cobbler", "Buiscuits 'N' Gravy"), zubereitet oder entwickelt werden - Kelis hat nach der Veröffentlichung ihrer letzten Platte einen Kochkurs belegt - steht die Tür des Hauses immer sperrangelweit offen. Dies hat zur Folge, dass Künstler jeglicher Couleur dort ein- und ausgehen. Für ein Stück Hünchen- oder Schweinefleisch, das mit Soßen aus der Hand von Kelis gewürzt ist, hinterlässt manch ein Gast darüber hinaus auch dankbar ein paar seiner Ideen. Am Ende webt sich somit der Geist einer lebensfrohen Gemeinschaft in die 13 Stücke der Scheibe ein. Die kreative Vielfalt kennt keine Grenzen, wodurch "Food" final nach einer bunten Geschmacksexplosion aus Funk und Alternative klingt. Auch die brasilianische Rockgirlkombo CSS unterstützt Kelis beispielsweise auf ihrem Weg in Richtung eines neuen akustischen Horizonts. In perfekter Harmonie reihen sich Perlen feinfühligen Genusses ("Bless The Telephone") an orientalische Träume aus Tausendundeiner Nacht ("Change"). "Rumble" hingegen erinnert lässig an längst vergangene Tage. Generell kommen einem viele Melodien bekannt vor, jedoch ohne den Anschein einer einfallslosen Kopie zu hinterlassen. Es sind oft simple Lines, wie das herrliche Klavierspiel bei "Biscuits 'N' Gravy", die die Nummern auf "Food" zu echten Ohrwürmern mutieren lassen. Zudem konservieren Kelis und Sitek behutsam die Schnittmenge ihrer gemeinsamen Soundpräferenzen, welche sich im Laufe ihrer Leben herausgebildet haben. Gewürzt mit Texten, die von zwischenmenschlichen Beziehungen und deren Auswirkungen. Wenn "Dreamer", als großartig verträumte Ballade, das Album beschließt, dann bleibt ein wohlig angenehmes Gefühl zurück. Einmal mehr wird klar, dass Kelis absolut in der Lage ist, eine Überraschung parat zu haben.