Den Song "Reflektor" erwählten Arcade Fire vor einigen Wochen, um ihn als Vorboten für das gleichnamige Album an ihre Anhänger zu entsenden. Der kleine Vorgeschmack führte dabei zu sehr unterschiedlichen Reaktionen. Hartgesottene Fans warf das elektrifizierte Stück teilweise gar völlig aus der Bahn. Was ist passiert? "Reflektor" ließ beim ersten Hören hier und da die Angst aufkommen, dass sich die Artrocker aus Montreal, nach Jahren der beherzten Reise entlang einzigartiger Soundlandschaften, nun final vielleicht doch jenem Horizont angenähert haben könnten, der zuvor schon einige andere Gruppen, man denke da beispielsweise an die Kings Of Leon oder das Punkespann Gossip, für immer verschlungen hat. Sollte es tatsächlich an der Zeit sein, dass auch Arcade Fire den Zenit ihres Independetdaseins ereicht hatten und nun der nicht umkehrbare Durchbruch hin zum Mainstream drohte? Nein! Denn wenn man sich genauer anschaut, wer die Band bei ihrer Experimentierfreude in Richtung Electronica unterstützte, dann kann man beruhigt aufatmen. James Murphy, das Gesicht hinter dem LCD Soundsystem, ist es nämlich, der Arcade Fire hier behutsam die Hände reicht. Murphy ist von jeher auch als erfolgreicher Produzent bekannt, der sich über die Licht- und Schattenseiten der elektronischen Genres sehr genau bewusst ist und schon erfolgreich als Wegbereiter für Rockerkollegen wie die Yeah Yeah Yeahs fungierte. Wenn sich dann zudem auch noch David Bowie auf ein Gastspiel bei "Reflektor" einlässt, dann sollte das auch dem letzten Zweifler den wütenden Wind aus den Segeln nehmen. Immerhin wollte das Rockurgestein den Song sogar ganz für sich beanspruchen, was Arcade Fire jedoch mit einem Lächeln abwinkten.
Was offeriert uns denn der Rest des Albums? Eine Menge! Die Ansammlung musikalischer Einflüsse ist auch auf dem 13 Stück starken Doppelalbum "Reflektor" an Vielfalt kaum zu übertreffen. Ganz wie man es von Arcade Fire gewohnt ist. Ertönt im Hintergrund von "We Exist" noch ein an Madonnas "Like A Virgin" erinnernder Eighties-Beat, beschwört der Nachfolger "Flashbulb Eyes" im nächsten Moment eher den Plastic Beach der ebenfalls von Murphy produzierten Gorillaz herauf.
Reflektor |
Vollgepackt mit feinsten, bewegenden Melodien geht es in die Verlängerung. Die zweite Hälfte von "Reflektor" bietet mit dem bereits erwähnten "Here Comes The Nightime II" und seinen Gefährten, ein grandioses Finale. Orpheus war es, der einst als Einziger die Macht besessen hatte, in die Unterwelt zu reisen und dort seine verschiedene Eurydike aus den Fängen des Todes zu entreißen. Die Wächter über das Leben waren derartig angerührt von den musikalischen Liebesbekundungen des Sängers und Dichters, dass sie ihm weitere Jahre mit seiner Angebeteten schenkten. Von jener rührenden Geschichte inspiriert, verzaubern "Awful Sounds (Oh Eurydice)" und "It's Never Over (Hey Orpheus)" den Hörer mit ihrem mythologischen, zarten Esprit. Entgegen seines provokanten und plakativen Titels hält auch der Track "Porno" eine unheimliche lyrische Tiefe bereit. Hinzu kommt eine infizierende Bassline, die sich um knisternde Percussions und wabbernde Synthiefetzen schlingt. Großartig! "Afterlife" und sein morbider Charme bereiten dann auf das sich langsam ankündigende Ende des 73minütigen Spektakels vor. In der Ferne verhallen die Gesänge und wieder ist da dieses weitschweifige Gemüt gegenwärtig, das Arcade Fire aus jedweden geltenden Gesetzten innerhalb der Musikbranche zu lösen vermag. Was sie anfassen wird zu purem Gold. Wir erleben eine Band, deren Einzigartigkeit ein echtes Phänomen zu sein scheint. Und wenn dann "Supersymmetry" in der Unendlichkeit verklingt, bleibt nur noch eine Frage zu klären: Wird dieser Feuerbogen jemals erlischen?
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