Dienstag, 11. Dezember 2012

Interviewt: Tallulah Rendall

Unser ganz persönliches Highlight in diesem Jahr, war das Interview mit Sarah Assbring (El Perro Del Mar), welches wir Mitte November führen durften. Kurz darauf wurden wir von Snowhite dazu eingeladen, Tallulah Rendall näher kennenzulernen.  Nach jener positiven Erfahrung mit Frau Assbring, willigten wir sofort ein. Zudem hatten wir Tallulah ja bereits einen Tagestippim Juni gewidmet, warum also nicht einmal genauer nachhorchen? Man traf sich bei Bier und Cola in einer kleinen, gemütlichen Berliner Kneipe. Deren Besitzer hatte nicht einmal Wechselgeld für die Getränke, was jedoch dem Spaß keinen Abbruch tat. Gemütlich auf einem Sofa Platz genommen, strahlte die hübsche Sängerin Tallulah Rendall bis über beide Ohren. Miss Rendall bringt einen solchen Grundoptimismus mit, dass man gar nicht anders kann als sie zu mögen. Das sollte später am Abend des 23.11.2012, auch das Berliner Publikum noch merken. Die smarte Britin, die aktuell in unserer Bundeshauptstadt lebt, überzeugt durch Natürlichkeit und den ungebrochenen Willen zu Musizieren. All das verbunden mit einer riesigen Portion Humor und Selbstironie.
Hier nun ein Interview, bei dem wir die obligatorische Frage nach ihrem Vater und der „Christian, the lion“-Story aussparten und uns lieber mit Tallulahs Musik, den damit verbundenen Geschichten, ihrer Abneigung gegenüber Lady Gaga und ihrer Einstellung zu Musik-Blogs befassten.

Mit Herzblut auf der Bühne: Tallulah Rendall
 
Einen hab ich noch…:
Wie sieht ein typischer Tag im Leben von Tallulah Rendall aus?

Tallulah Rendall:
Ich glaube, da gibt es keinen „typischen“ Tag. (lacht) Das Leben eines Musikers verläuft in Zyklen. Da ist die Zeit, wenn du schreibst, die Zeit, in der du tourst, die Zeit, in der du deine Platten aufnimmst oder die Zeit, in der du einfach nur arbeitest um deine Rechnungen zu bezahlen. In jedem dieser Abschnitte verändert sich alles komplett.

EHIN:
Welche Musik hörst du privat?

Tallulah Rendall:
Im Moment bin ich geradezu süchtig nach einem Album von Apparat. The Devil’s Walk. Ja, ich liebe dieses Album wirklich! Sonst mag ich gern Nick Drake, Jeff Buckley, Regina Spektor, Nina Simone. Eine Zeitlang hörte viel von Sigur Rós und anderes psychodelisches Zeug. Gern aber auch alten Rock’n’Roll wie der von Creedance Clearwater.

Wir hören an dieser Stelle den Song „Sweet Unrest“ aus dem eben erwähnten Album „The Devil’s Walk“ von Apparat. 

 
EHIN:
Welche Künstler inspirieren dich?

Tallulah Rendall:
Menschen inspirieren mich. Leute, die ihr Leben voll und ganz ausnutzen. Das können Dichter, Schriftsteller oder Tänzer sein. Es braucht viel um mich zu inspirieren. Ich war einst besessen von Patti Smith. Nicht so sehr wegen der Musik, mehr aufgrund ihrer Präsenz und wie sie auf der Bühne wirkte. Es ist die Essenz der Menschen, die mich wirklich inspiriert.

EHIN:
Gibt es einen Song, der dir absolut auf die Nerven geht?

Tallulah Rendall:
Nur einen? (lacht)

EHIN:
Nenn uns so viele, wie du magst.

Tallulah Rendall:
Ich höre generell überhaupt keine Chartmusik. Ich denke, es ist wirklich traurig, dass es das sein soll, was die meisten Menschen mögen. Es ist Sch***musik! Auch wenn es manchmal wirklich tolle Tracks in die Charts schaffen. Zum Beispiel von Adele, Florence + The Machine oder Bat For Lashes. Aber ein Song, der mir so wirklich zu wider ist? Mal abgesehen von all diesem „Mr. Blobby The Frog“-Kram und dem ganzen Bullshit? Mhm, eigentlich fast jeder Song, der mit verzerrten Dance-Vocals arbeitet. Lady Gaga wäre die erste, die meiner Meinung nach abziehen dürfte.

EHIN:
Deine Stimme besitzt eine enorme Vielfalt. Hast du eine klassische Gesangsausbildung genießen dürfen?

Tallulah Rendall:
Ja! Ich startete mit dem Gesangsunterricht als ich fünf war. Meine Stimme hat viel Erfahrung sammeln dürfen.

EHIN:
In einer Zeit, in der viele Leute Musik über das Internet konsumieren, welche Bedeutung haben da physische Releases aus deiner Sicht?

Tallulah Rendall:
Nun, ich entschied mich vor zehn Jahren, dass ich meine Alben als Buch kreieren möchte. Wir konsumieren alles so schnell, dass uns die Zeit fehlt, etwas wirklich wahrzunehmen. Oder es ganz und gar wertzuschätzen. Ein Album ist jemandes Leben. Es hat einen mehrere Jahre gekostet. In den 60er und 70er Jahren hat man Platten gesammelt, weil sie ein tolles Artwork hatten. Mit den CDs veränderte sich das. Irgendwie haben sie nichts Sammelnswertes an sich. Deswegen mache ich Bücher. Ich wollte eine Ebene von Kunst und Schönheit in die Alben integrieren, die ich herausbrachte.

Tallulah Rendalls Alben „Libellus“ und „Alive“ erschienen als aufwendig und liebevoll gestaltete Bücher. Wer eines davon erstehen möchte, der sollte unbedingt einmal den Online-Shop auf ihrer Website besuchen.

EHIN:
Wie kamst du auf die Idee, deine Alben auf diese Art zu veröffentlichen?

"Alive" als Buch
Tallulah Rendall:
Die Idee kommt ursprünglich von den Schallplatten, die meine Mutter hatte. Irgendwann kaufte ich zudem ein Buch von Patti Smith. Es war eine Sammlung ihrer Gedichte, Erzählungen und Fotografien. Und dann dachte ich, dass ich meine Alben so produzieren möchte. Mit Bildern, Fotos und Geschichten, die zu den einzelnen Songs passen. Ich ging mit dieser Idee zu vielen Labels, aber die waren davon nicht wirklich begeistert. Dennoch gestalte ich meine letzten zwei Platten so und dass ich jetzt mein drittes Album aufnehmen kann, zeigt dass die Leute sehr zufrieden damit sind und gern 15 bis 20 Euro für ein Buch, statt zehn allein für eine CD ausgeben.

EHIN:
Dein neues, drittes Album wird „The Banshee & The Moon“ heißen. Du nutzt für dessen Produktion und Finanzierung Crowdfunding, wie du es auch bei deinen anderen Veröffentlichungen getan hast. Welche Erfahrungen hast du bisher damit gemacht?

Talluah Rendall:
Erst war ich mir unsicher, ob ich es noch einmal tun könnte, oder sollte. Darum fragte ich die Leute von den früheren Crowdfunding-Projekten, was sie darüber denken. Ich schrieb so viele von ihnen an wie möglich. Zurück kamen Worte der Unterstützung und Ermutigung. Nun bin ich sehr zufrieden, dass ich es erneut getan habe, denn jetzt besteht für mich kein Zweifel mehr, dass die Menschen meine Musik wirklich hören wollen. Mit diesem Support an die Produktion der neuen Platte gehen zu können, fühlt sich wundervoll an.


EHIN:
Worum wird es thematisch auf der Platte gehen?

Tallulah Rendall:
Es geht um die Geschichte der Todesfee und des Mondes. Als ich letztes Jahr nach Berlin zog, folgte eine Zeit, in der ich mich selbst besser kennenlernte. Ich hatte diese Vision von einem Geist, einer Persönlichkeit, einem Charakter. In meiner Vorstellung vereint die Todesfee jene Weisheit, jenes Wissen und jene Freiheit in sich, die ich als Person gern auch in mir tragen würde.  Es gibt eine Ansammlung von Songs, die zwar nicht die Geschichte von Anfang bis Ende wiedergeben, aber sie zeigen die vielen verschiedenen Facetten innerhalb meines Wesens als Mensch. Zerbrechlichkeit, Momente der Stärke, der Wut, des Ärgers, aber auch der Freiheit. All das gehört dazu, wenn man lernt zur Todesfee zu werden. Und dann hatte ich diese unglaublich starke Verbindung zum Mond. Im September oder November letzten Jahres, lag eine Art feiner Nebel über Berlin. Ich sehe ein klares Bild vor mir, wie ich eines Nachts durch die Straßen ging, ein großer Mond von Nebel umhüllt über mir und dann das Bild der Todesfee in meinem Kopf. Irgendwie vereinte sich das alles zu einem großen Ganzen.

EHIN:
Du wirst heute noch vor einem Berliner Publikum performen. Was magst du daran, auf der Bühne zu stehen?

Tallulah Rendall:
Die Ungewissheit ist, was ich daran liebe und gleichzeitig hasse. Es gab Gigs, bei denen ich dachte, ich würde sie mögen und dann konnte ich sie nicht ausstehen. Aber auch Gigs, auf die ich keine wirkliche Lust hatte und die ich dann als wunderschön erlebte. Am meisten genieße ich den Moment auf der Bühne, wenn ich merke, dass das Publikum mit mir ist.

EHIN:
Welchen Song von dir, magst du selbst am meisten und wieso?

Tallulah Rendall:
Die letzten zehn Jahre war es immer Black Seagull. Wenn ich ihn spiele, dann erinnert er mich daran, an mich selbst zu glauben. Er ist sehr positiv, wirklich schön. Aber es gibt auch einen neuen Song, er nennt sich „Picking Up Pieces“, ich schrieb ihn im Februar diesen Jahres. Das ist einer meiner liebsten Songs vom kommenden Album.

Hier nun noch einmal das wunderbare „Black Seagull“.


EHIN:
 „Alive“ hast du in den Hookend Studios aufgenommen, die auch Pink Floyd, Radiohead, Morrissey oder den Manic Street Preachers  genutzt haben. Was ist das für ein Gefühl in diesen heiligen Hallen arbeiten zu dürfen?

Tallulah Rendall:
Unglaublich! Wirklich unglaublich. Es war so ein Privileg. Es gibt so viele Ebenen im Künstlerdasein. Man kann Jahre lang Musik machen, so dass man gerade davon leben kann. Dann gibt es die nächste Stufe, bei der man tourt, viel Geld verdient und sich nicht permanent Gedanken darüber machen muss, wo das Geld für die Miete herkommt. Noch eine Stufe weiter oben, kann man sich aussuchen in welchen Studio man arbeiten will, jeder möchte dich spielen hören und du bist in einer ausgewählten Liga. Ich hatte so viele tolle Möglichkeiten in meinem Leben, obwohl ich nicht in dieser Oberliga bin. Durfte mit so tollen Produzenten arbeiten. Zum Beispiel aktuell mit Danton Supple (Coldplay, Brian Eno, Kylie Minogue). Er kam heute Morgen nach Berlin, um den Tag mit mir zu verbringen und nach Studios zu gucken. Er ist ein erfolgreicher Produzent, müsste das alles nicht tun, aber er glaubt an mich. Das ist verdammt noch mal Wahnsinn!

EHIN:
 „Einen hab ich noch…“ ist ein kleiner Blog für Independentmusik. Wie sind deine Erfahrungen mit Blogs im Allgemeinen?

Tallulah Rendall:
Viele kopieren die Presseinfos und fügen sie auf ihren Seiten ein. So meine Erfahrung. Es gibt einen guten Blog namens „Next Best Thing“.  Es hängt wohl davon ab, wie sehr der Schreiber wirklich von Musik inspiriert ist und sich mit ihr befasst. Oder ob er eben nur einen Job tut, den er nun mal machen muss. Ich denke, die Blogger haben eigentlich eine unheimliche Kraft. Sie können sagen was gut ist und damit auch unbekannten Künstlern den Weg ebnen. Wenn das mit Integrität geschieht, dann ist das wirklich eine unheimlich starke Sache.

EHIN:
Dann musst du unseren Blog lesen!

Tallulah Rendall:
Das werde ich!

EHIN:
Danke für dieses schöne Gespräch.


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