Unser ganz persönliches Highlight in
diesem Jahr, war das Interview mit Sarah Assbring (El Perro Del Mar), welches
wir Mitte November führen durften. Kurz darauf wurden wir von Snowhite dazu
eingeladen, Tallulah Rendall näher kennenzulernen. Nach jener positiven Erfahrung mit Frau
Assbring, willigten wir sofort ein. Zudem hatten wir Tallulah ja bereits einen Tagestippim Juni gewidmet, warum also nicht einmal genauer nachhorchen? Man traf sich
bei Bier und Cola in einer kleinen, gemütlichen Berliner Kneipe. Deren Besitzer
hatte nicht einmal Wechselgeld für die Getränke, was jedoch dem Spaß keinen
Abbruch tat. Gemütlich auf einem Sofa Platz genommen, strahlte die hübsche
Sängerin Tallulah Rendall bis über beide Ohren. Miss Rendall bringt einen solchen
Grundoptimismus mit, dass man gar nicht anders kann als sie zu mögen. Das
sollte später am Abend des 23.11.2012, auch das Berliner Publikum noch merken.
Die smarte Britin, die aktuell in unserer Bundeshauptstadt lebt, überzeugt
durch Natürlichkeit und den ungebrochenen Willen zu Musizieren. All das
verbunden mit einer riesigen Portion Humor und Selbstironie.
Hier nun ein Interview, bei dem wir
die obligatorische Frage nach ihrem Vater und der „Christian, the lion“-Story
aussparten und uns lieber mit Tallulahs Musik, den damit verbundenen Geschichten,
ihrer Abneigung gegenüber Lady Gaga und ihrer Einstellung zu Musik-Blogs
befassten.
Mit Herzblut auf der Bühne: Tallulah Rendall |
Einen hab ich noch…:
Wie sieht ein typischer Tag im
Leben von Tallulah Rendall aus?
Tallulah Rendall:
Ich glaube, da gibt es keinen
„typischen“ Tag. (lacht) Das Leben eines Musikers verläuft in Zyklen. Da ist
die Zeit, wenn du schreibst, die Zeit, in der du tourst, die Zeit, in der du
deine Platten aufnimmst oder die Zeit, in der du einfach nur arbeitest um deine
Rechnungen zu bezahlen. In jedem dieser Abschnitte verändert sich alles
komplett.
EHIN:
Welche Musik hörst du privat?
Tallulah Rendall:
Im Moment bin ich geradezu süchtig
nach einem Album von Apparat. The Devil’s Walk. Ja, ich liebe dieses Album
wirklich! Sonst mag ich gern Nick Drake, Jeff Buckley, Regina Spektor, Nina
Simone. Eine Zeitlang hörte viel von Sigur Rós und anderes psychodelisches Zeug.
Gern aber auch alten Rock’n’Roll wie der von Creedance Clearwater.
Wir hören an dieser Stelle den Song
„Sweet Unrest“ aus dem eben erwähnten Album „The Devil’s Walk“ von Apparat.
EHIN:
Welche Künstler inspirieren dich?
Tallulah Rendall:
Menschen inspirieren mich. Leute,
die ihr Leben voll und ganz ausnutzen. Das können Dichter, Schriftsteller oder
Tänzer sein. Es braucht viel um mich zu inspirieren. Ich war einst besessen von
Patti Smith. Nicht so sehr wegen der Musik, mehr aufgrund ihrer Präsenz und wie
sie auf der Bühne wirkte. Es ist die Essenz der Menschen, die mich wirklich
inspiriert.
EHIN:
Gibt es einen Song, der dir absolut
auf die Nerven geht?
Tallulah Rendall:
Nur einen? (lacht)
EHIN:
Nenn uns so viele, wie du magst.
Tallulah Rendall:
Ich höre generell überhaupt keine
Chartmusik. Ich denke, es ist wirklich traurig, dass es das sein soll, was die
meisten Menschen mögen. Es ist Sch***musik! Auch wenn es manchmal wirklich
tolle Tracks in die Charts schaffen. Zum Beispiel von Adele, Florence + The
Machine oder Bat For Lashes. Aber ein Song, der mir so wirklich zu wider ist?
Mal abgesehen von all diesem „Mr. Blobby The Frog“-Kram und dem ganzen
Bullshit? Mhm, eigentlich fast jeder Song, der mit verzerrten Dance-Vocals
arbeitet. Lady Gaga wäre die erste, die meiner Meinung nach abziehen dürfte.
EHIN:
Deine Stimme besitzt eine enorme
Vielfalt. Hast du eine klassische Gesangsausbildung genießen dürfen?
Tallulah Rendall:
Ja! Ich startete mit dem
Gesangsunterricht als ich fünf war. Meine Stimme hat viel Erfahrung sammeln
dürfen.
EHIN:
In einer Zeit, in der viele Leute
Musik über das Internet konsumieren, welche Bedeutung haben da physische
Releases aus deiner Sicht?
Tallulah Rendall:
Nun, ich entschied mich vor zehn
Jahren, dass ich meine Alben als Buch kreieren möchte. Wir konsumieren alles so
schnell, dass uns die Zeit fehlt, etwas wirklich wahrzunehmen. Oder es ganz und
gar wertzuschätzen. Ein Album ist jemandes Leben. Es hat einen mehrere Jahre
gekostet. In den 60er und 70er Jahren hat man Platten gesammelt, weil sie ein
tolles Artwork hatten. Mit den CDs veränderte sich das. Irgendwie haben sie
nichts Sammelnswertes an sich. Deswegen mache ich Bücher. Ich wollte eine Ebene
von Kunst und Schönheit in die Alben integrieren, die ich herausbrachte.
Tallulah Rendalls Alben „Libellus“
und „Alive“ erschienen als aufwendig und liebevoll gestaltete Bücher. Wer eines
davon erstehen möchte, der sollte unbedingt einmal den Online-Shop
auf ihrer Website besuchen.
EHIN:
Wie kamst du auf die Idee, deine
Alben auf diese Art zu veröffentlichen?
"Alive" als Buch |
Tallulah Rendall:
Die Idee kommt ursprünglich von den
Schallplatten, die meine Mutter hatte. Irgendwann kaufte ich zudem ein Buch von
Patti Smith. Es war eine Sammlung ihrer Gedichte, Erzählungen und Fotografien.
Und dann dachte ich, dass ich meine Alben so produzieren möchte. Mit Bildern,
Fotos und Geschichten, die zu den einzelnen Songs passen. Ich ging mit dieser
Idee zu vielen Labels, aber die waren davon nicht wirklich begeistert. Dennoch
gestalte ich meine letzten zwei Platten so und dass ich jetzt mein drittes
Album aufnehmen kann, zeigt dass die Leute sehr zufrieden damit sind und gern
15 bis 20 Euro für ein Buch, statt zehn allein für eine CD ausgeben.
EHIN:
Dein neues, drittes Album wird „The
Banshee & The Moon“ heißen. Du nutzt für dessen Produktion und Finanzierung
Crowdfunding, wie du es auch bei deinen anderen Veröffentlichungen getan hast.
Welche Erfahrungen hast du bisher damit gemacht?
Talluah Rendall:
Erst war ich mir unsicher, ob ich
es noch einmal tun könnte, oder sollte. Darum fragte ich die Leute von den früheren
Crowdfunding-Projekten, was sie darüber denken. Ich schrieb so viele von ihnen an
wie möglich. Zurück kamen Worte der Unterstützung und Ermutigung. Nun bin ich
sehr zufrieden, dass ich es erneut getan habe, denn jetzt besteht für mich kein
Zweifel mehr, dass die Menschen meine Musik wirklich hören wollen. Mit diesem
Support an die Produktion der neuen Platte gehen zu können, fühlt sich
wundervoll an.
EHIN:
Worum wird es thematisch auf der
Platte gehen?
Tallulah Rendall:
Es geht um die Geschichte der
Todesfee und des Mondes. Als ich letztes Jahr nach Berlin zog, folgte eine
Zeit, in der ich mich selbst besser kennenlernte. Ich hatte diese Vision von
einem Geist, einer Persönlichkeit, einem Charakter. In meiner Vorstellung
vereint die Todesfee jene Weisheit, jenes Wissen und jene Freiheit in sich, die
ich als Person gern auch in mir tragen würde. Es gibt eine Ansammlung von Songs, die zwar
nicht die Geschichte von Anfang bis Ende wiedergeben, aber sie zeigen die
vielen verschiedenen Facetten innerhalb meines Wesens als Mensch.
Zerbrechlichkeit, Momente der Stärke, der Wut, des Ärgers, aber auch der
Freiheit. All das gehört dazu, wenn man lernt zur Todesfee zu werden. Und dann
hatte ich diese unglaublich starke Verbindung zum Mond. Im September oder
November letzten Jahres, lag eine Art feiner Nebel über Berlin. Ich sehe ein
klares Bild vor mir, wie ich eines Nachts durch die Straßen ging, ein großer
Mond von Nebel umhüllt über mir und dann das Bild der Todesfee in meinem Kopf.
Irgendwie vereinte sich das alles zu einem großen Ganzen.
EHIN:
Du wirst heute noch vor einem
Berliner Publikum performen. Was magst du daran, auf der Bühne zu stehen?
Tallulah Rendall:
Die Ungewissheit ist, was ich daran
liebe und gleichzeitig hasse. Es gab Gigs, bei denen ich dachte, ich würde sie mögen
und dann konnte ich sie nicht ausstehen. Aber auch Gigs, auf die ich keine
wirkliche Lust hatte und die ich dann als wunderschön erlebte. Am meisten
genieße ich den Moment auf der Bühne, wenn ich merke, dass das Publikum mit mir
ist.
EHIN:
Welchen Song von dir, magst du
selbst am meisten und wieso?
Tallulah Rendall:
Die letzten zehn Jahre war es immer
Black Seagull. Wenn ich ihn spiele, dann erinnert er mich daran, an mich selbst
zu glauben. Er ist sehr positiv, wirklich schön. Aber es gibt auch einen neuen
Song, er nennt sich „Picking Up Pieces“, ich schrieb ihn im Februar diesen
Jahres. Das ist einer meiner liebsten Songs vom kommenden Album.
Hier nun noch einmal das wunderbare
„Black Seagull“.
EHIN:
„Alive“ hast du in den Hookend Studios
aufgenommen, die auch Pink Floyd, Radiohead, Morrissey oder den Manic Street
Preachers genutzt haben. Was ist das für
ein Gefühl in diesen heiligen Hallen arbeiten zu dürfen?
Tallulah Rendall:
Unglaublich! Wirklich unglaublich. Es
war so ein Privileg. Es gibt so viele Ebenen im Künstlerdasein. Man kann Jahre
lang Musik machen, so dass man gerade davon leben kann. Dann gibt es die nächste
Stufe, bei der man tourt, viel Geld verdient und sich nicht permanent Gedanken
darüber machen muss, wo das Geld für die Miete herkommt. Noch eine Stufe weiter
oben, kann man sich aussuchen in welchen Studio man arbeiten will, jeder möchte
dich spielen hören und du bist in einer ausgewählten Liga. Ich hatte so viele
tolle Möglichkeiten in meinem Leben, obwohl ich nicht in dieser Oberliga bin.
Durfte mit so tollen Produzenten arbeiten. Zum Beispiel aktuell mit Danton
Supple (Coldplay, Brian Eno, Kylie Minogue). Er kam heute Morgen nach Berlin, um
den Tag mit mir zu verbringen und nach Studios zu gucken. Er ist ein
erfolgreicher Produzent, müsste das alles nicht tun, aber er glaubt an mich.
Das ist verdammt noch mal Wahnsinn!
EHIN:
„Einen hab ich noch…“ ist ein kleiner Blog für
Independentmusik. Wie sind deine Erfahrungen mit Blogs im Allgemeinen?
Tallulah Rendall:
Viele kopieren die Presseinfos und
fügen sie auf ihren Seiten ein. So meine Erfahrung. Es gibt einen guten Blog
namens „Next Best Thing“. Es hängt wohl
davon ab, wie sehr der Schreiber wirklich von Musik inspiriert ist und sich mit
ihr befasst. Oder ob er eben nur einen Job tut, den er nun mal machen muss. Ich
denke, die Blogger haben eigentlich eine unheimliche Kraft. Sie können sagen
was gut ist und damit auch unbekannten Künstlern den Weg ebnen. Wenn das mit
Integrität geschieht, dann ist das wirklich eine unheimlich starke Sache.
EHIN:
Dann musst du unseren Blog lesen!
Tallulah Rendall:
Das werde ich!
EHIN:
Danke für dieses schöne
Gespräch.
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